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Bären beobachten in Rumänien

Beim Besuch der grössten Bärenpopulation Europas stellt sich die Frage: Wer beobachtet hier eigentlich wen?


Es war ein wenig abenteuerlicher, als wir uns das vorgestellt hatten. Janos Szin, genannt der Bärenhirte, hat uns mit seinem Wagen abgeholt und zum Beobachtungspunkt geführt. Er trägt einen Revolver am Gürtel und wird uns später auf dem Smartphone Fotos von ihm und seinem Sohn zeigen, auf denen zu sehen ist, wie sie direkt neben einem Bären posieren. Als Janos den Wagen abstellt, steht bereits eine Bärin etwa zwanzig Meter von der Beobachtungs-Hütte entfernt.


Porträt eines Braunbären in Rumänien
© Armin Schädeli

Vom Auto bis zur Hütte sind es nur einige Schritte - trotzdem ist mir ein wenig mulmig, vor allem weil wir mit unserer damals 7-jährigen Tochter unterwegs sind. Die Bärin beobachtet uns aufmerksam, sie scheint genau zu wissen, was jetzt passieren wird. Nachdem Janos mit dem Auto auf die Lichtung gefahren ist und das Futter ausgelegt hat, kommt er zu uns in die Beobachtungshütte und gibt einen Pflaumenschnaps aus.


Bärenspur im Wald

Noch während die Bärin die Körner verspeist, schlägt Janos vor, man könne die Jagdhütte des ehemaligen Diktators Ceaușescu besichtigen, die sei nicht weit entfernt. Ja, genau, Nicolae Ceaucescu, der rumänische Diktator, der auf Menschen schiessen liess und selber gerne auf Bären schoss. Also nochmals raus aus der Hütte, zu Fuss an der Bärin vorbei zur Jagdhütte und wieder zurück. Die Anweisung von Janos: In Einerreihe gehen, nicht stehenbleiben, die Bärin nicht anstarren. Die Bärin hat sich mittlerweile hingelegt und isst nun im Liegen. Sie behält uns im Auge, aber sie lässt sich nicht weiter stören.


Mehrere Tausend Bären leben in den Karpaten


In Rumänien lebt die grösste Population von Europäischen Braunbären (Ursus arctos arctos) in Europa, je nach Quelle sind es zwischen 5000 und 8000 Tiere.


Europäischer Braunbär in Rumänien
© Armin Schädeli

Trotzdem wird man beim Wandern in den Wäldern kaum einem Bären begegnen, denn die Bären meiden Menschen. Für Reisende, welche Bären erleben möchten, gibt es aber trotzdem verschiedene Möglichkeiten. An einigen Stellen in den Wäldern legen Wildhüter oder Förster Mais und andere pflanzliche Nahrung für die Bären aus. An einigen dieser Orte wurden Beobachtungs-Hütten für Touristen und (Hobby-)Fotografen gebaut. In den Hütten sind Spiegelgläser verbaut. Das heisst, wir sehen die Bären, die Bären sehen uns nicht. Doch auch wenn sie uns nicht sehen, so nehmen sie die Menschen über ihren Geruchsinn und ihr Gehör wahr. Bärennasen sind unglaublich leistungsfähig, sie haben einen wesentlich besseren Geruchssinn als Hunde.

​Bär und Mensch

Gemäss offiziellen Angaben gab es in Rumänien zwischen 2016 und 2021 154 Angriffe von Bären auf Menschen, davon endeten 14 tödlich. Die Bandbreite reicht von selbstverschuldeten Angriffen, bei denen Menschen Jungbären aus der Höhle holten, um sie als Zirkusbären zu verkaufen, bis zu Unfällen in Wäldern und Dörfern. Eine der Herausforderungen ist der immer grösser werdende Lebensraumverlust. In den rumänischen Karpaten wird legal und illegal viel Waldfläche gerodet. Entsprechend häufiger suchen die Bären auf der Suche nach Nahrung Siedlungsgebiete auf. Auch Touristen, die Bären anfüttern, sind ein Teil des Problems. Bären gehen den Menschen grundsätzlich aus dem Weg. Heikel kann es werden, wenn man einen Bären überrascht, gerade Begegnungen mit Bärenmüttern können unschön enden. Aber: Europäische Braunbären greifen nicht aus Angriffslust an, sondern weil sie meinen, sich vor einer Gefahr schützen zu müssen. Wer im Bärengebiet unterwegs ist sollte sich immer bemerkbar machen, damit der Bär die Möglichkeit hat, den Menschen auszuweichen.

Flyer "Richtiges Verhalten im Bärengebiet" der Stiftung Euronatur


© Armin Schädeli

Der Europäische Braunbär - ein Vegetarier?

Die Bären verbringen je nach Jahreszeit und Verfügbarkeit von Nahrung bis zu 16 Stunden täglich mit Nahrungssuche. Die europäischen Braunbären essen zwar auch Fleisch, sie ernähren sich aber mehrheitlich vegetarisch. Gräser, Kräuter, Pilze, Früchte und Nüsse stehen auf dem Speiseplan. Sie haben alles in allem ähnliche kulinarische Vorlieben wie wir. So finden sie auch das Salatbeet im Vorgarten oder die Honigstöcke des Imkers attraktiv. Im Gegensatz zu uns verschmähen sie aber auch keinen Abfall oder im Aussenbereich deponiertes Katzenfutter. Dörfer und Städte sind für Bären Orte, an denen es potenziell Futter zu holen gibt. Doch wenn Bären in die Dörfer kommen, kann dies zu gefährlichen Situationen führen. Deshalb wird die Bärenfütterung in den Wäldern durchgeführt.

Die Fütterung von Bären - eine gute Idee?


Grundsätzlich gilt die Regel: Wildtiere nie füttern, denn sie verändern dadurch ihr Verhalten und verlieren ihre natürliche Scheu vor den Menschen. Einem Fuchs beispielsweise, den man anfüttert, macht man keinen Gefallen. Er wird die Scheu vor den Menschen verlieren und das geht so lange gut, bis die nächste Jagdsaison anbricht. Zudem können Tiere, die angefüttert werden, Menschen gegenüber aggressives Verhalten entwickeln, wenn ihnen für einmal kein Futter angeboten wird. "Keep it wild", lautet die Devise. In Rumänien und in Slowenien wird die Fütterung von Bären von Förstern und Wildhütern durchgeführt, um die Bären möglichst in den Wäldern zu halten. Damit sollen Begegnungen mit Menschen in den Dörfern und damit potenzielle Mensch-Wildtier-Konflikte vermieden werden.


Die zweite Beobachtungshütte ist eine etwa fünfzehnminütige Autofahrt von der Hargita Bear Lodge (mehr zur Lodge weiter unten) entfernt. Nachdem das Futter ausgelegt wurde, stellen wir uns auf eine längere Wartezeit ein. Doch es dauert nicht lange, bis drei Jungbären auf die Lichtung stürmen. Die Mutter der drei ist bei den Guides bekannt als "die Nervöse". Kein Wunder, muss sie doch auf drei Junge aufpassen. Die Bärin ist wachsam. Gefahr droht beispielsweise von männlichen Bären. Es kommt vor, dass diese Jungtiere töten, um mit der Mutter eigenen Nachwuchs zu zeugen.


Zum Schluss wird es noch einmal abenteuerlich. Als es dämmert, brechen wir zum Auto auf. Bei dieser Hütte ist der Weg etwas länger und er führt durch den Wald. Wir marschieren im Gänsemarsch und irgendwie scheint niemand Lust zu haben, ganz am Ende der Schlange zu marschieren. Wir gehen zügig, niemand spricht, da dringen zwei Mal die Laute der Bärin durch die hereinbrechende Nacht. Ich fühle mich beobachtet. Die Nervöse scheint nicht weit zu sein, das Fahrzeug ist es zum Glück auch nicht.


Bären beobachten in Rumänien: Empfehlenswerte Tourenanbieter


Bei der Auswahl des Touren-Anbieters sollte man vorsichtig sein. Es gibt viele unseriöse Anbieter, die beispielsweise Schokolade in die Bäume hängen, damit die Tiere auf die Bäume klettern. Solche Zirkusaktionen sollte man als Tourist nicht unterstützen. Die Fütterung von Wildtieren ist eine heikle Angelegenheit und gehört in die Hände von Profis.


Die Beobachtungshütten, die ich empfehlen kann, befinden sich im Norden Rumäniens in der Region Transsylvanien. Ein guter Ausgangspunkt für einen Ausflug zu den Bären ist das hübsche Städtchen Brasov. Auch das vermeintliche Dracula-Schloss ist von dort auch gut zu erreichen. Allerdings hat der historische Vlad Dracul offenbar dort nie logiert, aber das ist eine andere Geschichte.

Hargita Bear Lodge in Rumänien

Hargita Bear Lodge

Der Besitzer der Lodge ist Zoltán Baczó, der regionale Förster. Die Lodge verfügt über einfache, zweckmässige und saubere Zimmer, abends kocht die Mama regionale Spezialitäten. Die Lodge ist auch für (Hobby-)Ornithologen ein gute Adresse. Foto: Copyright Zoltán Baczó


Janos Szin/Hides von Bence Mathe

Ebenfalls empfehlenswert sind die Beobachtungshütten, welche Bence Mathé, der ungarische Profifotograf und Wildlifephotographer of the year, gebaut hat. Wir waren mit Janos Szin, dem Bärenhirten, unterwegs.

Tipp für Hobby-Wildlifefotografen: Macht nicht denselben Fehler wie ich. Ich habe zwar erwähnt, dass ich fotografieren werde, ich bin aber zwei Mal in normalen Besichtigungs-Hides gelandet. Für Fotografen gibt es andere Hides und angepasste Zeiten – immer dann, wenn die Lichtverhältnisse ideal sind. Zudem sind die Hütten teilweise so gebaut, dass man auf Augenhöhe fotografieren kann. Bei uns stand die Lichtung beim zweiten Hide schon im Schatten, als wir ankamen. Entsprechend schwierig war es, ansprechende Fotos zu schiessen.

Das Wild Moments Rating

(⭐ bis ⭐⭐⭐⭐⭐)


Wie wild war es?

⭐⭐⭐ bis ⭐⭐⭐⭐

Letztlich handelt es sich bei den Beobachtungshütten um eine Fütterungssituation. Wir erleben zwar wildlebende Bären, aber die Begegnung wird künstlich erzeugt. Das ist nicht vergleichbar mit einer Bärenbeobachtung zu Fuss, wie man sie beispielsweise in Alaska erleben kann (steht noch auf meiner Bucketlist). Also eher drei Sterne. Aber wenn man, wie in unserem Fall, einer Bärin auch zu Fuss begegnet, sind wir bei vier Sternen.


Wie gross sind die Erfolgsaussichten?

⭐⭐⭐⭐ bis ⭐⭐⭐⭐⭐

Da es sich um eine Fütterungssituation handelt, ist die Chance sehr gross, dass man Bären sieht, aber eine Garantie gibt es nicht. Aber hey, wir sind in der Natur, wer eine hundertprozentige Chance will, geht auf Gefangenenbesuch in den Zoo.


Wie familientauglich ist die Aktivität?

⭐⭐⭐

Die Kinder sollten alt genug sein, um zwei Stunden lang ruhig zu sitzen oder sich anderweitig - aber leise - zu beschäftigen. Unsere damals 7-jährige Tochter fand es zu Beginn sehr aufregend, war aber mit der Zeit etwas gelangweilt ("Papi, fressen die Bären noch lang?"). Weil wir mit einem Kind unterwegs waren, habe ich aus Sicherheitsgründen Beobachtungshütten gewählt, bei denen es keine langen Wege zu Fuss zurückzulegen gibt. Trotzdem hatten wir Bärenbegegnungen ausserhalb des Hides. Das finden wohl nicht alle Eltern aufregend.


Wie nachhaltig ist die Aktivität?

⭐⭐⭐⭐

Die Fütterungen sind erlaubt und gemäss den Aussagen eines Försters ist die Futtermenge zu klein, um das Verhalten der Bären grundsätzlich zu verändern. Sie werden nicht wegen den Touristen durchgeführt. Das Ziel ist, die Bärenbegegnungen in den Dörfern und damit Mensch-Wildtier-Konflikte zu reduzieren. Weniger Konflikte zwischen Bär und Mensch dürften langfristig der Akzeptanz der Bären zugute kommen. Zudem hat sich die Bärenbeobachtung mittlerweile zu einem lukrativen Tourismuszweig entwickelt. Dies kann dazu beitragen, dass die Bären besser geschützt werden. Aber: Die Bewertung gilt nur für die von mir empfohlenen Anbieter. Es gibt einige schwarze Schafe, die aus der Tierbegegnung einen Zirkus machen.



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